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Ein Leben im Para-Sport mit Andreas Walser – Road to Paris 2024

Ich treffe Andreas das erste Mal auf dem Sportplatz. Es ist Training der LGA und die meisten sind mit ihrem Programm bereits durch. Andreas fällt unter den Sportlern und Sportlerinnen nicht weiter auf. Dennoch unterscheidet er sich von ihnen, denn Andreas ist Para-Sportler. Durch seine Augenerkrankung Retinitis Pigmentosa kann er nur eingeschränkt sehen. Leichtathletik ist für ihn ein guter Sport, denn die Bewegungen erfordern mehr Körpergefühl als Sehvermögen. Er berichtet mir stolz von der Teilnahme an seinen ersten Wettkämpfen diese Saison und seinen Plänen für die Zukunft. Ich habe viele Fragen und bald schon kommen wir auf alle möglichen Themen.

  1. Wie bist du zur Leichtathletik gekommen?

Das ist tatsächlich eine witzige Story. Und zwar habe ich im Sommer 2020 das Sportabzeichen gemacht, weil das so ziemlich das Einzige war, was man wegen Corona sportlich machen konnte. Mannschaftssport und so war ja alles nicht erlaubt. Das war dann auch das erste Mal seit meiner Schulzeit, dass ich wieder Zeiten und Weiten als Vergleich hatte. Als ich dann im nächsten Sommer die olympischen Spiele in Tokio im Fernsehen ansah (speziell den Zehnkampf) habe ich zu meinem Bruder gesagt, dass ich ja in den Disziplinen gar nicht so weit von den Typen weg bin. Scherzhaft habe ich dann zu ihm gesagt, ich fange mit Leichtathletik an, dann bin ich mit Training locker in Paris 2024. Am nächsten Tag habe ich mich dann umgeschaut, wo man in meiner Nähe Leichtathletik machen kann.

2. Das klingt nach einer sehr spontanen Geschichte. Kommst du denn aus der Leichtathletik?

Gar nicht! Ich habe als Jugendlicher Handball gespielt und auch Volleyball. Das geht mittlerweile leider fast nicht mehr.

3. Kannst du uns ein bisschen über deine Krankheit erzählen?

Die Krankheit nennt sich Retinitis Pigmetosa. Sie ist progressiv und momentan nicht heilbar und bei mir erblich bedingt. Im Prinzip kann man sagen, dass die Nervenzellen auf der Netzhaut kaputt gehen. Zuerst sind dabei die Zellen für das Hell-Dunkel Sehen (Stäbchen) betroffen. Deswegen merkt man als erstes, dass man im Dunkeln nichts mehr sieht (Nachblindheit). Das kann man sich wirklich so vorstellen, dass ich an einem Ort ohne künstliches Licht wie Straßenlaternen nachts gar nichts sehe. Weitere Symptome, die damit zusammenhängen, sind extreme Blendempfindlichkeit (ich bekomm oft Kopfschmerzen wenn ich im Sommer draußen bin, weil da die Sonne so hell ist) und das langsame Anpassen der Augen bei Wechsel von Hell zu Dunkel und umgekehrt. Im weiteren Verlaufder Krankheit sind dann die Zäpfchen betroffen, die für das Farbsehen zuständig sind. Es wird dann schwerer, Kontraste und Farben zu erkennen und das Sichtfeld wird immer kleiner. Im letzten Schritt verliert man dann auch immer mehr an Sehschärfe, was bei mir auch der Fall ist. Ich habe links mit Brille noch 10% und rechts 4% Sehkraft. Das Ende vom Lied ist dann die vollständige Erblindung.Wann bzw. ob es bei mir so weit kommt, kann allerdings nicht wirklich abgeschätzt werden, da die Krankheit von Person zu Person extrem unterschiedlich ausfällt.

4. Welche Auswirkungen hat deine Erkrankung auf deinen Sport? Bist du auf Hindernisse oder Diskriminierung gestoßen?

Ich kann einfach immer weniger machen, was früher noch geklappt hat. Rückschlagspiele wie Tischtennis, Badminton etc. gehen gar nicht. Ich war im Winter seit langen mal wieder beim Skifahren, das war auch super schwierig. Bei der Leichtathletik fällt es mir tatsächlich nicht so auf. Ich habe aber natürlich auch keinen Vergleich dazu, wie es wäre, wenn ich besser sehe, weil ich früher keine Leichtathletik gemacht habe. Die größten Probleme, die ich habe, sind immer beim Suchen der Disken oder Kugel nach einem Wurf/Stoß. 

Es gibt natürlich auch außerhalb des Sportplatzes Hindernisse. Ich darf zum Beispiel nicht mehr Auto fahren und fahr auch nur ungern mit dem Rad durch die Stadt. Das macht es dann nicht so einfach zu Wettkämpfen zu kommen oder auch ins Training. Wenn es dann jetzt wieder in Richtung Winter geht und es früher dunkel wird, kann ich dann zum Beispiel nicht mehr draußen trainieren, weil ich nachtblind bin und deshalb im Dunkeln nichts sehe. 

Diskriminierung ist mir vor allem beim Fußball begegnet. Das gehört da aber anscheinend irgendwie leider dazu. Ansonsten kommt es meistens im eher im Alltag vor. Wobei sich das dann auch oft auf das alleinige Tragen einer Brille bezieht.

5. Regensburg, Erding – das sind in Bayern große Wettkämpfe. Wie fühlst du dich nach diesen Wettkämpfen? Welche Erfahrungen nimmst du aus ihnen mit?

Ich bin sehr stolz auf meine Leistungen in Regensburg. Fast noch ein bisschen stolzer bin ich aber darauf, dass ich bei den Bayerischen Meisterschaften mitmachen durfte, immerhin habe ich Hochsprung davor nur ungefähr zweimal im Training gemacht. Allerdings bin ich auch sehr ehrgeizig und war schon ein wenig enttäuscht, als ich als erster rausgeflogen bin.

Regensburg und Erding – das waren tatsächlich sehr unterschiedliche Erfahrungen, da Regensburg Para-Leichtathletik war und Erding „normal“. Zum einen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. In Erding waren zwar nur Bayerische Meisterschaften, aber da war echt viel los und auch mit dem ganzen Drumherum. In Regensburg hingegen – was immerhin deutsche Meisterschaften waren – war abgesehen von den Sportlern und ihren Familien nicht viel los. 

In Regensburg waren, da es deutsche Meisterschaften waren, natürlich auch sehr starke Athleten am Start, wie zum Beispiel Markus Rehm, der in seiner Klasse mit über 8,50m den Weltrekord im Weitsprung hält und schon alles gewonnen hat oder Johannes Floors, der in Tokio im Finale über 100m stand und Gold über 400m geholt hat. Sich mit solchen Top Leuten messen zu dürfen war eine riesige Erfahrung für mich. Man kann sich da so einiges anschauen, zum Beispiel wie die in so einen Wettkampf reingehen.

6. Nächster Stopp Paris? Was bedeutet das Erreichen der Norm für die Paralympics 2024 in Paris für dich?

Paris ist das große Ziel ja. Im nächsten Jahr wären auch Weltmeisterschaften in Paris. Wenn ich es schaffe mich dafür zu qualifizieren, wäre das schonmal ein toller Erfolg.

Ganz so einfach ist das ganze aber nicht. Es gibt im Para-Bereich sehr große Leistungsunterschiede und deshalb gibt das IPC (Gegenstück zum IOC) immer einen Mindeststandard aus, der erreicht werden muss, um an den Spielen teilnehmen zu dürfen. Diese Weite liegt bei 6,20 Metern und das habe ich somit erreicht. Vom deutschen Verband gibt es dann noch eine eigene Norm, die schwieriger ist (ich mein die ist bei 6,98m). Die orientiert sich an der Weltrangliste und man kann sich dann auch dann einen Platz unter den besten 8 in der Welt qualifizieren. Ich habe momentan noch keine internationale Klassifizierung und tauche deshalb nicht in der Weltrangliste auf. Meine 6,22 wären aber genau dieser 8. Platz in diesem Jahr. Das ist alles etwas kompliziert und wahrscheinlich habe ich jetzt noch irgendetwas vergessen.

Ich bin aber zumindest auf einem guten Weg und hab ja auch noch Zeit bis Paris.

7. Welche Ziele hast du dir für die kommenden Jahre gesetzt? Oder gibt es noch Zwischenetappen?

Ansonsten möchte ich im nächsten Jahr generell an internationalen Meetings teilnehmen. Ich war da jetzt in diesem Jahr schon auf einem in Leverkusen und das ist schon was anderes, wenn dann die besten der Welt da sind und sich miteinander messen. 

In der normalen Leichtathletik würde ich mich gern nächstes Jahr auch im Weitsprung und über 100m für die Bayerischen Meisterschaften qualifizieren und im Hochsprung vielleicht sogar eine Medaille holen. Und ich würde gerne einen Zehnkampf machen, nachdem das der Grund war, warum ich mich ursprünglich für die Leichtathletik entschieden habe.

8. Wie läuft ein Wettkampf für dich ab? Wie bereitest du dich vor?

Momentan noch etwas unstrukturiert, weil ich nicht wirklich eine Routine hab. Ich bin dann schon sehr darauf angewiesen, dass mir meine Trainer genau sagen, was ich machen soll. Aber grundsätzlich sieht es so aus wie bei allen andern auch: Ich komm an, Wärme mich auf und starte 🙂

9. Wie sieht dein Trainingsalltag aus? Worauf legst du im Moment deinen Fokus?

Momentan bin ich in der Sommerpause, danach sind 5-6 Einheiten die Woche im Plan und dazu Krafttraining. Ich werde dann einen Wurftag haben und an den anderen Tagen Sprint und Sprung machen. Der Fokus liegt dann vor allem auf der grundlegenden Technik und spezifische Kraft

10. Was machst du außerhalb des Sportplatzes?

Ich studiere Lehramt für das Gymnasium in den Fächern Mathe und Physik. Ansonsten bin ich ein großer FCA Fan und da bei vielen Spielen zu finden. 

11. Von wem bekommst du Unterstützung?

Die meiste Unterstützung bekomme ich von meinen Eltern. Wenn ich irgendetwas brauche oder irgendwohin muss, da helfen die mir eigentlich immer aus. Ansonsten waren auch alle, die ich bisher von der LG Augsburg kennen gelernt habe, super hilfreich. Besonderer Dank geht hier an Jadranka, die mir den Einstieg wirklich sehr erleichtert hat und den Stein erst so richtig ins Rollen gebracht hat. Aber auch der Förderverein der LG hat mich zum Beispiel mit neuen Hochsprungspikes unterstützt. Momentan stell ich gerade einen Antrag zur Aufnahme in den Nachwuchskader 1, da kann es dann natürlich auch sein, dass ich dann eine Förderung bekomme.

12. Was sind aus deiner Sicht Herausforderungen im Leistungssport allgemein aber auch in der Paraleichtathletik?

Einen wirklich tiefen Einblick habe ich in der kurzen Zeit natürlich noch nicht bekommen. Generell würde ich aber sagen, dass der Zeitaufwand, den man betreiben muss, die größte Hürde für viele ist, um bei den Erwachsenen erfolgreich zu sein. In der Jugend sind die deutschen Athleten ja auch oft international noch spitze, werden dann aber von den anderen abgehängt. Ich sehe das ja bei mir auch: neben Studium und Arbeit bleibt da nicht mehr so viel Zeit übrig. Da man aber von der Leichtathletik in Deutschland nicht leben kann, setzten viele ihre Prioritäten schlussendlich anders. Das ist natürlich im Para-Sport noch krasser. Wobei hier die größte Herausforderung ist, faire Wettkämpfe zu gestalten. Da es nicht so viele Athleten mit Behinderung gibt, sind zum Beispiel bei den deutschen Meisterschaften über 100m alle gegeneinander gelaufen. Da hat man dann je nach Behinderung natürlich einen riesigen Vor- oder Nachteil. Generell ist dieses ganze Klassifizierungssystem im Para-Sport eine schwierige Sache. 

Eine weitere Herausforderung ist dann das Fehlen geeigneter Trainingsanlagen aufgrund fehlender Wertschätzung für den Sport in der Öffentlichkeit. Wir haben hier in Augsburg mit Ernst-Lehner Stadion und dem Rosenaustadion zwar gute Außenanlagen, aber in der Halle wird das ganze schon schwieriger. Ich war ja in Leverkusen auf einem Wettkampf und die Anlagen, die die haben – mit Stadion, Wurfplatz, Halle, Krafträume usw. – lässt es nicht verwundern, dass dort viele deutsche Spitzenathleten herkommen oder trainieren. Dazu passt auch, dass der BVS Bayern (Behindertensportverband Bayern) die Deutschen Para-Leichtathletik Meisterschaften ursprünglich im Ernst-Lehner-Stadion stattfinden lassen wollte, am Ende aber nach Regensburg ausweichen musste. Da sich aber der Platzwart aus Angst, der Rasen würde bei Wurfdisziplinen beschädigt werden, quergestellt hatte, hat Augsburg hier eine riesige Chance vertan. Ich denke, das sagt alles über den Stellenwert von anderen Sportarten neben Fußball in Augsburg aus.

13. Du siehst also noch viel Luft nach oben. Hat der Para-Sport deiner Meinung nach eine Zukunft in Augsburg? Was möchtest du Nachwuchssportlerinnen mit auf den Weg geben?

Lasst euch trotz allem nicht den Spaß am Sport nehmen.  Das ist vor allem als Kind das Wichtigste, dass man Spaß hat an den Dingen die, man macht. 

Andreas, herzlichen Dank für deine Zeit. Ich wünsche dir viel Erfolg in dieser und der kommenden Saison!
Vielen Dank.